Förderpreis Komposition 2023

Alex Paxton

Essay

Unbändige Freude

von Jakob Böttcher

Freude ist ein in der zeitgenössischen Musik wenig präsentes Attribut, vielleicht, weil sie im scheinbaren Widerspruch zur akademischen Tradition steht. Dass Alex Paxtons Werk sich ohne Übertreibung als Ausdruck unbändiger Freude charakterisieren lässt, verweist auf seine besondere Stellung in der Szene und ist Zeugnis seines eigenwilligen Schaffens: Fröre man eine beliebige Stelle seiner Musik mit einem Freeze-Pedal – ein besonders bei E-Gitarist*innen beliebtes Effektgerät zum Festhalten eines temporären Klangzustands – ein, noch immer würde man sie identifizieren können, so charakteristisch ist allein die Klangfarbe aus schrillen Synthesizern und kerniger Posaune. Auf der zeitlichen Achse kommt eine sich durch sein Werk ziehende schier unerschöpfliche Aufgeregtheit und Dichte hinzu, die es schwer macht, diese Musik überhaupt einem Genre zuzuordnen.

Bei Alex Paxton handelt es sich um eine wahrhaftige Doppelbegabung aus Instrumentalist und Komponist, und sicher sind sowohl Klangvorstellung als auch Herangehensweise ans Komponieren stark von seinem Spiel beeinflusst. Als Posaunist prägt Paxton eine aus dem Free Jazz adaptierte improvisierte, laute und übersteuert klingende Virtuosität, in deren Geschwindigkeit die Einzeltöne zu einer menschlich anmutenden Gestik verschwimmen. Diese Qualität von Dichte und Chaos findet sich auch in seiner notierten Musik, wobei der Blick in die Partituren Paxtons Aufschluss über den Dualismus seines Arbeitsprozesses zwischen Improvisation und Komposition gibt: ein akribisch notiertes klassisches Notenbild bezeugt neben einer effektiven Praxisorientierung auch eine Verwurzelung in der zeitgenössischen akademischen Musik, und verrät höchstens bei genauerem Hinsehen das hohe Maß an Lebendigkeit im akustischen Resultat.

Paxton tritt als Komponist einer neuen Generation auf, der das Werk selbst nicht zuletzt von einer Diskographie aus denkt. So entfalten die beiden Ensemblewerke iLolli-Pop (2022) und Music for Bosch people (2021) auf den vom Komponisten selbst bearbeiteten und gemischten Einspielungen eine besondere Qualität an Detailreichtum und Unmittelbarkeit. Die Stücke manifestieren den für Paxton typischen rasanten Ensembleklang auch durch seine besondere orchestratorische Handschrift, in der instrumentale Farben sich häufig wie Mixturregister einer Orgel zu einer schrillen Klangwelt ergänzen. Während sich das Ausloten verschiedener Qualitäten von Chaoszuständen als konstante Antriebskraft Paxtons erweist, macht sich in jüngster Zeit ein verstärkter Fokus auch auf weicheren Abschnitten mit dichten harmonischen Konstruktionen und spielerischer motivischer Verarbeitung bemerkbar. Steht in Music for Bosch People die mechanische Repetition von Kleinstmotiven im Vordergrund, erwachen sie in iLolli-Pop zu einem als kompositorisches Werkzeug verwendeten Eigenleben. iLolli-Pop steht als Ensemblestück mit improvisierendem Solisten auch für die Exploration einer ungewöhnlichen Gattung im Spannungsfeld zwischen Solokonzert und Overdub, in der Paxton die Möglichkeit der Gleichberechtigung von Solo- und Ensemblepart trotz formaler Unterschiede zwischen notierten und improvisierten Stimmen auslotet. Das Orchesterstück Levels of Affection (2022) führt dieses Experiment mit gar optionalem improvisiertem Solo fort. Komplementiert wird Paxtons häufige Arbeit für große Ensembles von solistischen Explorationen, die kompositorische Ausgangspunkte offenlegen. So zeugt Londonglum (2021) als atemloser Kampf zwischen Posaune und Stimme von der Paxtons Schaffen innewohnenden musikalischen Getriebenheit.

Die Parallelität von Ereignissen ist ein zentrales Gestaltungsmittel in Paxtons Musik, und so könnte man ihm die Verwendung einer Art Kugelgestalt der Stile attestieren. Dennoch ist die Farbpalette der Einflüsse persönlich zu verstehen und bewusst eingeschränkt – und definiert so die Klanglichkeit: immer im Vordergrund sind Einflüsse aus dem Jazz und eine Reihe an Retro-Sounds, insbesondere aus der Ära früher Videospiele. Die kommentarlose Verknüpfung der Stile führt zu einer gewissen innermusikalischen Absurdität, die Paxtons Werk stilistisch so wenig greifbar macht und gleichzeitig so verspielt und plastisch wirken lässt. Es passt, dass Paxton als ehemaliger Grundschulpädagoge eine Schulklasse mit ihrer immensen Vielfalt an Stimmen einmal als ein „really amazing instrument“ beschrieb. Genau diese klangliche Varianz überträgt er in seine Instrumentationen, nutzt sie aber auch explizit in seiner Arbeit mit Laien: Am schillernden Ensemblestück Candyfolk Space-Drum (2022) sind singende Schulklassen beteiligt, die Community-Oper Noggin & the Whale (2017) zeigt mit der Uraufführungsbesetzung von knapp 500 Kindern Paxtons Bereitschaft zum Verrückten auch auf formaler Ebene. Diese Werke verweisen auf die Ursprünge der in Paxtons Musik omnipräsenten Komponente des Kindlich-Aufgedrehten, das aber immer leicht verzerrt und damit als Teil der musikalischen Absurdität auftritt.

Alex Paxton ist in vielerlei Hinsicht ein lauter Komponist mit einem hohen kreativen Output. Seine Musik fordert auf unkonventionelle Weise heraus: sie ist chaotisch, verrückt, schrill und schillernd, von einer eigenwilligen Absurdität, vor allem aber kompromisslos in ihrer Freude.