Ernst von Siemens Musikpreis 1983

Witold Lutosławski

Aus der Laudatio von Andres Briner:

Zwar hat Witold Lutoslawski in seinen Schöpfungen seit den 60er Jahren den Bereich des in der Musik Aussagbaren ungemein ausgeweitet. Aber seine Musik ist in diesem Prozeß nicht sinnlich weniger attraktiv und auch nicht formal weniger verständlich geworden. Es hat nicht die Komplexität des Komponierens einen Sieg über den Akt des Hörens davongetragen.

Die Hauptursache dafür ist sicherlich, daß Lutoslawski selber restlos hört, nahtlos sich vorstellen kann, was er niederschreibt. So eignet gerade den späten Werken eine eigene kristallene Gestalt, die zu erfassen nicht nur eine Aufgabe, sondern auch eine Freude ist. Diese Werke vermögen uns Mut zu geben in einer Zeit, die es weder dem Komponisten noch dem aufrichtigen Hörer leicht macht. Hier, so können wir sicher sein, stehen wir einem Künstler gegenüber, der seine eigenen Verantwortungen nicht aufgeben will und kann. Wir hören es in seiner Musik, daß er sich an Ungestaltbares, an die Randzonen menschlichen Vorstellungsvermögens heranwagt… Gegenüber dieser verfeinerten und doch vitalen Musik kann uns keiner kommen und behaupten, in der heutigen Situation des Komponierens sei durchhörbare Musik gar nicht mehr möglich. Keiner kann uns jetzt daran hindern, neue Musik in all ihren Anforderungen zu lieben. Die Mauer zwischen moderner Musik und modernem zeitgenössischen Publikum — hier fällt sie, durch die schiere Kraft der Erfindung und Eingebung.